04/06/2014

Phaedra meets Oxygene

04.06.2014 10:15 von Matthias

Tangerine Dream In Concert 2014

Seit mehr als 45 Jahren im Geschäft, gelang der Berliner Elektronik-Formation "Tangerine Dream" mit dem Album „Phaedra“ 1974 der internationale Durchbruch. Fast überall auf der Welt feierte die Band große Erfolge, schrieb Hollywood-Soundtracks, blieb in ihrem Heimatland aber immer ein Geheimtipp. 

Ein Fernsehbericht über die aktuelle Tournee der Berliner Elektronik-Pioniere sorgte unlängst auch bei Jarre-Fans für Diskussionen. Unter anderem war dort ein Foto zu sehen, das Jean Michel Jarre mit Tangerine Dream in deren Studio zeigt. Vor allem aber war darin die Rede von einem gemeinsamen Megakonzert dieser beiden Pioniere der elektronischen Musik.

Das wollten wir nun natürlich genau wissen und hatten vor dem Tangerine Dream-Konzert in Offenbach die Gelegenheit zu einem ausführlichen Interview mit Edgar Froese, dem Bandgründer und kreativen Kopf von "TD", der vermutlich schon alles gesehen hat, was es im Musikgeschäft zu sehen gibt. Seine Frau Bianca Acquaye war ebenfalls dabei und schaltete sich hin und wieder ins Gespräch ein. (JL=Jarrelook, EF=Edgar Froese, BA=Bianca Acquaye). Die Fragen für Jarrelook stellte Matthias Eislöffel.



JL: Unlängst lief im RBB ein Bericht über eure Tour. Dort war auch die Rede davon, dass ein gemeinsames Konzert mit Jean Michel Jarre geplant ist.

EF: Das ist, vor allen Dingen in der Art, wie es den Weg in die Medien fand, so nie gesagt worden. Es ist nie von einem Superkonzert irgendwo auf der Welt gesprochen worden.
Aber wir schätzen uns, wir haben uns getroffen und wir werden wahrscheinlich projektmäßig, musikalisch eine Kooperation beginnen. Wir haben verschiedene Informationen ausgetauscht und so weiter. Nur, wir beide spielen in einer Liga, wo wir immer viel unterwegs sind. Deshalb muss man das planen. Vor knapp einem Jahr hatte er schon fast seinen Flug von Paris gebucht, musste dann aber absagen wegen anderer Verpflichtungen. Und so muss man sich immer sein Zeitfenster suchen, wo es dann für beide passt.

JL: Das heißt, es soll dann kein großes Megakonzert geben?

EF: Also, wer diese Idee mit dem Konzert – und vor allen Dingen Megakonzert – in die Welt gesetzt hat, weiß ich nicht. Aber es ist so, dass speziell in diesem Bericht noch zwei andere Dinge völlig verdreht wurden, die nicht der Wahrheit entsprechen. Und mein Interesse, und ich denke in diesem aktuellen Fall auch das von Jean Michel, ist es, dass man, wenn man in die Öffentlichkeit geht, das Menü dann abliefert, wenn es gekocht ist und nicht, wenn man heute auf dem Marktplatz war und eingekauft hat. Wir werden sehen.

JL: Jean Michel arbeitet an einem Album, zu dem auch viele andere Künstler etwas beisteuern.

EF: Ja.

JL: Seid ihr dann auch dabei?

EF: Er sprach mich darauf an. Und da ja nicht nur er mit meiner Musik, sondern auch ich mit seiner seit vielen Jahren, ja, wie soll ich sagen... „Vertraut“ ist immer so eine Sache. Da gibt man vor, es jeden Tag zu hören und so ist es nicht. Aber ich weiß, was er macht und ich denke, ich weiß auch, warum er das macht, was er macht. Und das finde ich immer wesentlich, weil gerade, um in der Musik etwas beurteilen zu können, braucht man schon ein bisschen mehr Detailinformationen. Wir haben uns auch darüber unterhalten, – und  er sieht das so ähnlich – dass  es immer ein Segen und ein Fluch ist, einen Hit zu haben. Er hatte seinen großen Hit ja fast gleich am Anfang und man wird dann über Jahre immer wieder damit identifiziert. Das ist in anderen musikalischen Bereichen noch schlimmer, aber im Instrumentalbereich eben auch. Was er aus meiner Sicht richtig gemacht hat ist, dass er eben die Performance entsprechend gestaltet hat, um aus dieser reinen „Hit-Schiene“ herauszukommen, was ihm teilweise gelungen ist, kommerziell gesehen. Musikalisch… Also, für mich ist immer noch das „Zoolook“-Album musikalisch das interessanteste, obwohl er viele gemacht hat, weil er da eben auch diese reine, sagen wir mal „kommerzielle Schiene“, wenn man das so böse betrachten will, ein bisschen versucht hat zu verlassen. Aber er hat, genau wie wir vor vielen Jahren, natürlich dieses Problem einer vertraglichen Partnerschaft. Das heißt mit anderen Worten: Da steht immer so’n Typ von der Plattenfirma und die wollen natürlich Kühe melken. Die sind nicht am Wohlergehen des Musikers oder an der künstlerischen Qualität der Musik interessiert, sondern die wollen eine schöne Cash Cow, die immer ordentlich liefert. Deshalb sind wir ja 1996 aus diesem Geschäft ausgestiegen und haben gesagt: Wir machen unsere eigene Schiene, eigenen Verlag, eigene Firma und dann können wir machen, was wir wollen.

JL: Ihr habt eure Tour „Phaedra Farewell“-Tour genannt, das heißt aber nicht, dass Tangerine Dream aufhört?

EF: Nein. Das ist auch falsch interpretiert worden. Das lag vielleicht auch ein bisschen daran, dass wir uns da nicht eindeutig genug geäußert haben. „Phaedra“ war unser erster internationaler Erfolg 1974 und von da an haben wir eine bestimmte Art von Elektronik immer weiter ausgebaut. Und nun, parallel zu unseren Aktivitäten, haben wir hier bereits seit ungefähr zwei Jahren neue Dinge am Start, die wir aber mit dem alten Konzept nicht verwirklichen können. Also ist das im Grunde ein Abschied vom alten Konzept, hin zu einem ganz neuen, veränderten, das auch den technischen Möglichkeiten Rechnung trägt, die man vor ein paar Jahren noch nicht hatte.

JL: Das heißt, es wird also auch in Zukunft Konzerte geben?

EF: Ja, aber in einer anderen Form.

JL: Was sind deine musikalischen Wurzeln? Was hat dich ursprünglich inspiriert, Musik zu machen?

EF: Meine Wurzeln sind eindeutig die Klassik. Aber wie jeder, der Musik von der kreativen Seite sieht, war mir natürlich schnell klar: Ich bin jetzt kein Chopin-Interpret und will es auch nicht werden, sondern das Abenteuer, die interessanten, neuen Dinge haben mich gereizt. Und da, wie’s der Zufall so wollte, traf ich Ende der 60er Jahre auf die Leute um Bob Moog und die ganzen anderen Technik-Freaks in den USA und daraus entwickelte sich so eine technologische Vielfalt, die man mit einer Interpretation von Klassik nie erreichen kann. Natürlich gab es damals noch Walter Carlos oder Wendy Carlos mit ihrem „Switched On Bach“ und so weiter. Das war schon prägend. Und später hat man seinen eigenen Weg zu finden versucht.

JL: Hast du noch musikalische Ziele für die Zukunft, die du erreichen möchtest?

EF: Vieles, ja. Aber erstens weiß man ja immer nicht, wieviel Zeit man noch hat. Zweitens ist die Technologie international längst nicht da, wo sie sein könnte. Ich wäre daran interessiert, mit einem Physiker über Nanotechnologie in der Musik zu sprechen. Ich wäre daran interessiert, wie man Frequenzen an Moleküle bindet und daraus andere Klangstrukturen herstellt, wie man Alpha-/Beta-Wellen, an der Schädeldecke abnimmt und dann in Klangsignale umsetzt. All das sind Bereiche, die vielleicht in dreißig, vierzig Jahren massenkompatibel sein werden. Aber das interessiert mich halt.
Es war 1972, als ich mich dazu hinreißen ließ, einem Journalisten zu erklären, warum in zehn, fünfzehn Jahren jede Band einen Synthesizer auf der Bühne haben wird. Der hat mich nur mitleidig angesehen. Und dann war es aber so.
Also, du bist auf der einen Seite Visionär in der Musik, und dem Jean Michel geht das ja auch so, der hat ja auch die Probleme. Wir reden dann über analog, digital, über Computer usw. Aber das ist für jemanden, der damit umgeht so wie abgetragene Kleider. Das ist alt. Es ist wirklich alt. Es klingt hier und da okay oder es klingt warm oder eben schöner oder wie auch immer, aber mich reißt das alles nicht mehr vom Hocker. Aber mit Hirnstromwellen, mit Humanelektrizität als Steuerfunktion Klänge zu „erdenken“, die noch niemand gehört hat, das elektrisiert mich sofort. Auch wenn das wahrscheinlich niemand versteht, außer ein paar Leuten. Das Publikum wie wir es heute hier haben oder auf der ganzen Tour, die finden das zwar reizvoll und die kommen auch weil sie interessiert sind. Aber ob sie verstehen, wie ein Plug-In im Computer funktioniert oder wie man bestimmte Software updatet… Naja, sie müssen es ja auch nicht verstehen, sie sollen ja die Musik genießen. Aber manchmal geht es dann schon so weit voran, dass man sich der geschmacklichen Wahrnehmung entzieht. Also muss man dann wieder etwas Vertrautes bringen. So arbeiten wir mit Streichinstrumenten, mit Blasinstrumenten, um da wieder eine Vertrautheit herzustellen. Aber musikalisch brauchen würden wir das eigentlich überhaupt nicht.

JL: Die Elektronik hat ja gerade in den letzten Jahren durch Techno etc. sehr viel Verbreitung gefunden. Findest du, dass es die Sache schwieriger für euch gemacht hat, dass heute quasi jeder elektronische Musik machen kann?

EF: Nein, weil wir auf einer völlig anderen Spielwiese unterwegs sind. Wir hatten vor zwei Jahren so ein Erlebnis, ein Open Air-Konzert in Ottawa und da bauten wir unsere Sachen auf, wie immer, alles prima. Wir hatten eine Menge Leute, fünfzehn-, zwanzigtausend Leute im Publikum, war eigentlich für uns völlig okay. Dann gab es eine Pause von anderthalb Stunden und dann hörte ich nur: „Ist DJ Tiesto schon gelandet?“ Ich denke: „Ist der schon gelandet? Wo landet der denn?“ Ja, auf einem kleinen Privatacker nebenan mit seinem Privatflieger! Eigenes Privatflugzeug, eigenes dieses, eigenes jenes – alles in Ordnung. Und dann, wir waren noch anwesend, weil es außerhalb der Stadt war, dann schau ich mir das an und sage: Ja, ganz ehrlich, so leicht möchte ich auch mal mein Geld verdienen. Und der hatte dann am Abend 80.000 Leute. Alle waren glücklich: Er war glücklich, er hat die Knete gekriegt für einen zweiten Privatflieger und ist dann weitergedüst nach Buenos Aires oder weiß der Geier. Natürlich hat das aus dem Anspruch heraus mit Musik für mich Null zu tun. So. Jetzt sitzen oder stehen da aber 80.000 Leute, die total happy sind. Die sprangen und klatschten und alle waren fröhlich. Was ist erfolgreicher als Erfolg? Deshalb sage ich das mit den unterschiedlichen Spielwiesen. Der spielt in einer Liga, die kommerziell wesentlich profitabler ist als das, was wir machen. Wir spielen in einer Liga, die musikalisch nachhaltig etwas zu sagen hat und hinterlassen wird. Und so kann man das nicht miteinander vergleichen. Aber es ist gut zu wissen, was wo passiert, weil es ja eine Monsterentwicklung ist, überall. Und man kann nicht sagen, dass das Zeug schlecht ist. Überhaupt nicht. Nur, du legst dir da mit „Loop-Selectors“ die Loops zusammen und feierst fünf Stunden ab, wenn’s sein muss und hast noch nicht mal einen Schweißtropfen auf der Stirn.

BA: Eines hast Du mal in einem Interview gesagt, Edgar, und zwar, dass das eben die „Gedärme“ anregt und dann noch einen ganz anderen Weg geht.

EF: Ja, wie ich immer etwas boshaft sage: Techno ist kopulationsfördernd. Alles unterhalb von 120 oder 100 Hertz geht nämlich voll auf den Dünndarm. Und der Dünndarm mit bestimmten Nervenenden in bestimmten anderen Teilen des Körpers, ein bisschen tiefer gelagert, reizt ordentlich. Deshalb sage ich auch immer: Techno = Kopulationsmusik. Die Discos, ich kenne das ja früher von Berlin, wenn die neue Anlagen installieren, den größten Fokus kriegen immer die Subwoofer, also die ganz tiefen Bässe. Das hörst du ja nicht. Das ist mono, weil du in dem Frequenzbereich stereo gar nichts mehr hörst. Aber du fühlst es. Es ist angenehm.

JL: Du hast gerade Ottawa angesprochen mit 20.000 Zuschauern. Im Ausland habt ihr ja immer viel Erfolg gehabt, hier in Deutschland war das ja weniger der Fall.

EF: Ja.

JL: Wurmt dich das?

EF: Ach, weißt du, ich bin jetzt 45 Jahre im Geschäft und da vergießt man keine Träne mehr, weil irgendwas mehr oder weniger… Ein Phänomen ist es schon. Ich halte ja nichts von diesem „Der Prophet im eigenen Lande“, das ist alles so abgegriffen wie ein alter Regenschirm. Also, das kann ich nicht mehr hören. Trotzdem ist es eine Tatsache. Wir haben jetzt hier in Deutschland in München begonnen, Zirkus Krone. Da liest du dann irgendwo in Berichten: „Wabernde Sounds zu wabernden Nebeln“. Ich habe richtig in meinem Online-Archiv mal nachgesehen. Konzertberichte von 1974/75 hatten genau das: „Wabernde Sounds zu wabernden Nebeln“. Jetzt, über 40 Jahre später, wabert es in Deutschland immer noch. Eine Beschreibung, die wir nirgendwo auf der Welt – und wir haben schon überall gespielt –, wirklich nirgendwo gefunden haben. Niemand hat „foggy“ gesagt oder „muddy“ oder… Niemand! Jeder bezieht sich auf die Musik, sagt vielleicht: „Die Frequenz war nicht okay“ oder da waren „distorted noises“ oder wann mal die PA nicht richtig funktioniert hat – also fachbezogen. Aber hier in Deutschland werden die Dinge immer umschrieben, aber nicht in einer wirklich definierten Sprache, sondern du meinst einfach, der Typ kann damit nichts anfangen. Ist ja okay, ich kann auch mit vielen Musikstilen nichts anfangen. Aber dann gehe ich doch nicht als Rezensent in so ein Konzert und schreibe eine Kritik. Da sage ich doch zu meinem Redakteur: „Okay, ich mach mir einen schönen Abend, aber nicht bei TD. Was soll ich da?“

BA: Edgar, heute gibt es eine Konzertkritik - nicht ein Wort zur Musik, sondern nur, was du über den Berliner Flughafen gesagt hast. Nicht ein Wort zur Musik! Also, das ist Deutschland. Das würde im Ausland niemals passieren.

EF: Haben sie mich wenigstens richtig zitiert?

BA: Ja, das haben sie [lacht].

JL: Ich war neulich bei einem Konzert von Peter Gabriel und habe hinterher auch eine Kritik gelesen. Der Kritiker hat über alles geschrieben, nur nicht über die Show und die Musik. Ich habe dann mal nachgeschaut und festgestellt, dass die Zeitung einen Politikredakteur dahin geschickt hatte.

BA: [stöhnt]. Na klar. [lacht].

EF: Peter ist auch ein Typ, der nebenbei sehr leidensfähig ist, weil er ja nun auch Sachen erlebt hat, die wirklich richtig unter die Gürtellinie gingen und trotzdem immer wieder probiert hat, seine Musikalität zu leben. Ich meine, wer geht mit einem Orchester auf Tour? Wer stellt sich da vorne hin mit seiner Tochter und macht da tolle Sachen? Aber die Leute verstehen es nicht. Denn die Leute, naja, vor allen Dingen, muss man leider sagen, im deutschsprachigen Raum – Schweiz und Österreich gehört immer gleich mit dazu und ein Teil von Holland auch – die wollen Attraktionen. Und dann kommen die Attraktionen und dann sagen sie: „Och, nö, da war ja kein vierfacher Salto dabei!“ Da hat der Artist das Wahnsinnsding abgeliefert und keiner hat`s gemerkt! Und das finde ich dramatisch. Und da sind wir wieder bei dem von dir vertretenen Protagonisten: Jean Michel hat eine Sache völlig richtig gemacht. Er hat sich gesagt: Okay, die Leute verstehen eh nicht was ich mache, also gebe ich ihnen „Mind Toys“ an die Hand, baut Laserharfen und so weiter. Ich meine, ich kenne die Elektronik. Ich weiß, was man machen kann. Ich weiß, was Show ist, ich weiß, was real ist. Ich finde das alles in Ordnung. Aber alleine die Tatsache, dass du die Menschen mit solchen Dingen becircen musst, ihnen den Showeffekt liefern… Ich habe das Konzert von Monaco bei der Hochzeit gesehen. Whoaaah, jetzt startet hinten eine Rakete zum Mars! Das hat noch gefehlt. Das war volles Programm! Volles Programm!

JL: Ich war in Monaco und es war wirklich unglaublich, was da an Feuerwerk hochgegangen ist. Es gab am nächsten Abend das offizielle Feuerwerk des Fürsten für seine Braut – das war ein laues Lüftchen dagegen!

EF: Ich dachte immer nur: „Was passiert jetzt? Was kann da jetzt noch die Steigerung sein?“ Es ging nichts mehr. Ich habe von der Musik kaum was gehört, weil die Böller hinten so laut da reinknallten. Ich glaube, die mit der Übertragung hatten auch Probleme. Aber: fairerweise, ich habe meine Zeugen, hab ich gesagt: Ich will nichts zur Musik sagen, ich will nichts zu dieser ganzen Celebrity sagen, aber: Clever gemacht!

JL: Es hat auf jeden Fall Aufmerksamkeit generiert.

EF: Wir sind ja beide auch in so einer Liga unterwegs, wo man sagt: „It’s not show art, it’s show business“. Und in Amerika läuft sowieso nichts außerhalb dieses Bereichs. Wenn da einer kommt und sagt: „Ich will Kunst machen“, sagst du: „Aha, gehst du noch zur Akademie oder zur Schauspielschule?“ „Nee, ich bin fertig!“ „Wie, und dann willst du immer noch Kunst machen? Dann müsstest du doch eigentlich schon im Business angekommen sein.“ Naja.

JL: Gibt es irgendetwas, was Du jungen Leuten sagen könntest, die heute elektronische Musik machen wollen?

EF: Den jungen Leuten, ja, denen kann ich was sagen: Viel Liebe zur Musik, dann tief Luft holen, für fünf Jahre abtauchen, sich alle Misslichkeiten dieser Welt um die Ohren fliegen lassen, aber versuchen einen eigenen Stil zu entwickeln. Es gibt in der Entwicklung der Musik, wenn man Erfolg haben will, nennen wir das mal ruhig so, also von seiner Musik leben möchte, nur zwei Möglichkeiten. Keine zehn Wege, völliger Blödsinn. Entweder „lande“ ich durch Zufall einen Hit, wie man so sagt, oder ich kreiere über einen langen Zeitraum, mit sehr viel Geduld, einen musikalischen Stil. Im ersten Fall werde ich schnell viel Geld in der Tasche haben, bin aber auf Lebenszeit an diese Trademark gebunden. Es kommt darauf an: Wenn ich jetzt mehr davon liefere, Hit nach Hit usw. und so ein ABBA- oder Beatles-Phänomen bin, dann wird das trotzdem kommerziell interessant sein. Wenn ich jetzt aber nur einen Hit habe und dann kommt nichts mehr, dann zerbrechen die Leute daran. Deshalb, wenn du mich nach einem Advice fragst, würde ich eher sagen: Sucht euch etwas Verrücktes, das kein anderer macht, und dann arbeitet 12 Stunden jeden Tag. Ohne Arbeit funktioniert es eben nicht. Und dann nach drei Jahren, hört euch vielleicht mal jemand, der genauso verrückt unterwegs ist wie ihr. Dann kreiert ihr einen Stil und den könnt ihr bis ans Lebensende entwickeln. Mehr Möglichkeiten gibt es nicht.

Was ich aber zum Schluss auch noch sagen möchte, was mir an Jean Michel immer aufgefallen ist und was ich bis zu einem gewissen Grad auch an ihm bewundere: Er ist, auch im kollegialen Kreis, immer sehr höflich, immer zurückhaltend und immer freundlich. Da habe ich schon ganz andere Sachen erlebt. Denn du hast ja nicht nur Erfolg, sondern der Erfolg macht ja auch was mit dir.

JL: Edgar, vielen herzlichen Dank für das Gespräch.

EF: Alles Gute und vielleicht sieht man sich ja doch bald einmal bei einem gemeinsamen Konzert wieder.

Das anschließende Tangerine Dream-Konzert dauerte zweieinhalb Stunden und bot einen guten Querschnitt durch über 40 Jahre TD-Musik, angefangen in der Zeit von "Phaedra" bis hin zu ganz neuen Kompositionen. Größtenteils waren die Stücke sehr rhythmisch. Angereichert wurde das Ganze mit einer schönen Lichtshow, Projektionen, einer kleinen Tanzperformance und gelungenen Soli. Am Ende gab es stehende Ovationen vom Publikum.
Neben Edgar Froese, der am 6.6. seinen 70. Geburtstag feiert, standen noch Thorsten Quaeschning (Keyboards), Linda Spa (Keyboards, Saxophon, Querflöte), Iris Camaa (Percussion) und Hoshiko Yamane (Violine und Cello) auf der Bühne.


Bilder von konzert


 Source: jarrelook.de

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